Dr. Alessandro Alan Porporati: «Der Übergang zu Hochleistungskeramiken in der dentalen Implantologie ist nur eine Frage der Zeit»
Bild: Dr. Alessandro Alan Porporati
Dieses Interview ist zuerst auf frag-pip.de erschienen.
Zur Person
Dr. Alessandro Alan Porporati ist ein ausgewiesener Experte für zirkoniumdioxidbasierte Werkstoffe und verfügt über umfassende Expertise im Bereich der Hüftendoprothetik. Seit über zwei Jahrzehnten befasst er sich mit der Entwicklung und klinischen Anwendung von Hochleistungskeramiken für orthopädische und dentale Implantate. Aktuell ist er als Director of Medical and Scientific Affairs in der Medizinprodukteabteilung der CeramTec Group in Plochingen, Deutschland, tätig.
In Ihrem Vortrag auf der DEGUZ-Jahrestagung haben Sie darauf hingewiesen, dass der Übergang zu Keramikmaterialien in der dentalen Implantologie angesichts des Trends zur Verwendung von Hochleistungskeramiken in der Hüftendoprothetik in den letzten zwei Jahrzehnten nur eine Frage der Zeit sei. Können Sie das genauer erklären?
Dr. Alessandro Alan Porporati: Ich bin überzeugt, dass der Übergang zu Hochleistungskeramiken nur eine Frage der Zeit ist – vor allem, weil wir diese Entwicklung bereits in der Hüftendoprothetik gesehen haben. Anfang der 2000er Jahre waren Kobalt-Chrom (CoCr) und Edelstahl die bevorzugten Werkstoffe in der Hüftendoprothetik. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich jedoch ein klarer und stetiger Trend hin zu keramischen Materialien abgezeichnet. Das wird auch in den Registerdaten deutlich: In Deutschland wurden laut dem Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) im Jahr 2023 über 90 % der Femurköpfe bei primären Hüft-Totalendoprothesen aus Keramik eingesetzt – Keramik ist also eindeutig das dominierende Material. Im Vereinigten Königreich meldete das National Joint Registry für 2023 einen Anteil von etwa 59 % keramischer Femurköpfe, ebenfalls die Mehrheit. In den USA zeigen aktuelle Registerdaten, dass über 80 % der Femurköpfe bei primären Hüftprothesen aus Keramik bestehen, was eine klare und anhaltende Präferenz für keramische Komponenten widerspiegelt. Nicht nur die Registerdaten sind überzeugend – auch die langfristige klinische und wissenschaftliche Evidenz zeigt, dass sich orthopädische Chirurgen zunehmend für keramische Komponenten entscheiden, da diese verschleißärmer, biokompatibler sind und metallbedingte Komplikationen wie lokale Gewebereaktionen verringern. Zudem gibt es in den letzten zehn Jahren eine wachsende Zahl an Studien, die belegen, dass keramische Gleitpaarungen das Risiko für Revisionsoperationen aufgrund von Infektionen senken. Genau diese Vorteile lassen sich auch auf dentale Implantate übertragen. In der dentalen Implantologie geht man den Weg, den die Orthopädie bereits eingeschlagen hat: Die Materialien sind ausgereift, die klinischen Ergebnisse überzeugend, und mit zunehmender Datenlage wächst das Vertrauen in Keramik. Daher denke ich: Wie in der Hüftendoprothetik ist es auch hier nur eine Frage der Zeit, bis Keramik einen festen Marktanteil neben Titan einnimmt.
“
Zusammenfassend lässt sich sagen: Für beide Anwendungen benötigt man Hochleistungswerkstoffe, dentale Implantate stellen jedoch höhere Anforderungen an Korrosionsbeständigkeit, immunologische Verträglichkeit und Ästhetik. Genau deshalb werden Hochleistungskeramiken wie monolithisches Zirkoniumdioxid und Aluminiumdioxid-verstärktes Zirkoniumdioxid (ATZ) in diesem Bereich so wichtig.
”
Was sind die wichtigsten Anforderungen an Materialien für dentale Implantate im Vergleich zu Hüftimplantaten?
Dr. Alessandro Alan Porporati: Das ist eine wichtige Frage, denn auch wenn Hüft- und Zahnimplantate sehr unterschiedlich erscheinen, bestehen viele Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Materialanforderungen – wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung. Und es gibt einige entscheidende Unterschiede. Für beide Anwendungen braucht es Materialien mit exzellenter Biokompatibilität, Bruchfestigkeit, Zähigkeit und chemischer Stabilität. Diese Eigenschaften sind grundlegend für die langfristige Funktionsfähigkeit unter Belastung und im Kontakt mit lebendem Gewebe. In der dentalen Implantologie kommen jedoch weitere Herausforderungen hinzu: Die Mundhöhle ist ein deutlich aggressiveres Milieu – sie ist ständig Speichel, schwankendem pH-Wert, Temperaturveränderungen sowie bakterieller Besiedlung ausgesetzt. Deshalb ist die Korrosionsbeständigkeit der entscheidende Erfolgsfaktor für dentale Materialien, während in der Hüftendoprothetik vor allem die Verschleißfestigkeit der Gleitkomponenten im Vordergrund steht. Ein weiterer Aspekt ist die Ästhetik – hier ist Zirkoniumdioxid dem Titan klar überlegen. Für dentale Implantate ist die Farbe und Transluzenz des Materials von Bedeutung, insbesondere im Frontzahnbereich. Bei Hüftimplantaten denken wir nicht darüber nach. Anders als in der Hüfte stehen dentale Implantate in direktem Kontakt zum Knochen und erfordern daher eine optimierte Oberflächenmodifikation zur Förderung der Osseointegration.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Für beide Anwendungen benötigt man Hochleistungswerkstoffe, dentale Implantate stellen jedoch höhere Anforderungen an Korrosionsbeständigkeit, immunologische Verträglichkeit und Ästhetik. Genau deshalb werden Hochleistungskeramiken wie monolithisches Zirkoniumdioxid und Aluminiumdioxid-verstärktes Zirkoniumdioxid (ATZ) in diesem Bereich so wichtig.
Wie wichtig ist die Korrosionsbeständigkeit als Teil des Biokompatibilitätskonzepts im Hinblick auf den Langzeiterfolg von Implantaten?
Dr. Alessandro Alan Porporati: Der Begriff „Biokompatibilität“ wurde 1985 erstmals definiert als „die Fähigkeit eines Materials, in einer bestimmten Anwendung eine angemessene Host-Reaktion zu zeigen“. Doch mit den soziokulturellen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben sich auch die Anforderungen an Materialien verändert. Besonders der funktionale Aspekt – „die Fähigkeit, die gewünschte Funktion zu erfüllen“ – ist entscheidend geworden, um die Patientenzufriedenheit zu verbessern.Biokompatibilität bedeutet also nicht nur, dass ein Material ungiftig ist – es geht vielmehr darum, wie gut das Material langfristig mit dem Körper interagiert. Ein dentales Implantat aus biokompatiblem Material muss seine medizinische Funktion erfüllen, ohne schädliche lokale oder systemische Effekte zu verursachen. Es soll die Heilung fördern, die Osseointegration unterstützen und keine ungewollten entzündlichen Reaktionen auslösen. Das bedeutet: Das Material wird vom Körper akzeptiert, integriert und im Idealfall als körpereigen behandelt – und dabei noch ästhetisch ansprechend. Für die Mundhöhle wird Biokompatibilität noch wichtiger, denn das orale Milieu ist extrem aggressiv: Implantate sind ständig Speichel ausgesetzt, erleben pH-Wert-Schwankungen (die unter Plaque auf etwa 2 sinken können) und müssen mechanische Kräfte von bis zu 1000 N beim Kauen aushalten. All das macht Korrosionsbeständigkeit zu einer der wichtigsten Voraussetzungen für Biokompatibilität.
In Ihrer Präsentation haben Sie ausgeführt, dass Keramik in der dentalen Implantologie mittlerweile als „ausgereift“ gilt. Was genau meinen Sie damit?
Dr. Alessandro Alan Porporati: Was ich damit sagen wollte, ist, dass Keramik den gesamten Innovationszyklus durchlaufen hat. Wenn man sich die Entwicklung keramischer Werkstoffe in der dentalen Implantologie ansieht – insbesondere Zirkoniumdioxid und seine Verbundwerkstoffe wie ATZ –, wird man feststellen, dass sich der anfängliche Hype und die Unsicherheit gelegt haben. Zu Beginn gab es sehr hohe Erwartungen, aber auch Skepsis aufgrund von Problemen mit früheren Werkstoffen, die in der Zahnmedizin nicht gut genug funktioniert hatten. Es folgte eine Phase der Ernüchterung, in der die Akzeptanz zurückging, da die Grenzen immer deutlicher wurden. Aber im Laufe der Zeit haben wir mit besseren Herstellungsverfahren und klinischer Validierung das erreicht, was man als „Plateau der Produktivität“ bezeichnen könnte. Heute sind Zahnimplantate aus Hochleistungskeramik nicht mehr experimentell – sie werden beispielsweise durch 10-jährige klinische Evidenz mit Überlebensraten von über 95 % gestützt. Wir wissen heute, wie man mit diesen Materialien arbeitet, und sie erfüllen sowohl funktionelle als auch biologische Anforderungen. Kurz gesagt: Keramik in der dentalen Implantologie ist für den klinischen Einsatz eine zuverlässige und ausgereifte Option. Man sollte jedoch immer bedenken, dass die Herstellung von Hochleistungskeramiken ein hohes Maß an Know-how erfordert: Zirkoniumdioxid-Verbundwerkstoffe, die identisch aussehen, können völlig unterschiedliche Leistungseigenschaften aufweisen.
Gab es weitere Faktoren, die zur Entwicklung dentaler Implantatsysteme beigetragen und die Verwendung von Keramikimplantaten gefördert haben?
Dr. Alessandro Alan Porporati: Rückblickend gibt es definitiv einige wichtige Meilensteine, die die Entwicklung von dentalen Implantaten maßgeblich geprägt haben. Im Jahr 1962 ließ Dr. Sami Sandhaus das CBS-System („Crystalline Bone Screw“) aus Aluminiumdioxid patentieren. Damit war der Grundstein für die Verwendung von Keramik in der Zahnmedizin gelegt. Erwähnenswert ist, dass dieses Implantat aus Degussit von der Rosenthal Technik AG, einem mit CeramTec historisch verbundenen Unternehmen, hergestellt wurde. 1965 setzte Prof. Per-Ingvar Brånemark das erste Titanimplantat bei einem Menschen ein. Dieses wurde zum Goldstandard und brachte das Konzept der Osseointegration in die klinische Praxis. 1972 begannen Oralchirurgen in Japan mit dem Einsatz synthetischen Saphirs, und bis 1977 konnte Brånemarks Titanimplantat klinische Erfolge vorweisen. Ein großer Fortschritt war 1985 die Entwicklung des SIGMA-Implantats aus Zirkonoxid durch Dr. Sandhaus – ein Meilenstein für Keramikimplantatsysteme. Anfang der 1990er Jahre zeigten dann Forschungen von Miani und Akagawa, dass auch Zirkoniumdioxidimplantate erfolgreich osseointegriert werden können, was das klinische Vertrauen in Zirkoniumdioxidkeramik als echte Alternative zu Metallen stärkte. Insgesamt war es also ein allmählicher Wandel – von Metallen zu biokompatibleren und ästhetischeren Materialien wie Keramik –, aber jeder dieser Meilensteine trug zur Weiterentwicklung von Keramikimplantaten bei. Parallel dazu wurden Fertigungstechnologie und Implantatdesign kontinuierlich optimiert.
“
Alles in allem bedeuten bessere Zellverträglichkeit höhere osteogene Aktivität und bakterielle Resistenz. Zirkoniumdioxid und ATZ sind also nicht nur Alternativen zu Titan – sie sind in vielerlei Hinsicht eine klinisch fortschrittlichere Lösung für die moderne dentale Implantologie.
”
Angesichts des zunehmenden Interesses an keramischen Implantatmaterialien – insbesondere Zirkoniumdioxid-Verbundwerkstoffen – stellt sich die Frage: Wie schneiden diese im Vergleich zu Titan hinsichtlich ihrer biologischen Leistungsfähigkeit ab?
Alessandro Alan Porporati: Titan ist in der Implantologie ein weit akzeptierter Werkstoff. Doch Zirkonimdioxid-Komposite wie ATZ und reines Zirkoniumdioxid zeigen in allen drei Bereichen – Zytokompatibilität, Knochenregeneration und bakterielle Resistenz – vergleichbare oder bessere Ergebnisse. Vorläufige wissenschaftliche Daten zeigen, dass Zirkoniumdioxid- und ATZ-Oberflächen die Adhäsion und Stoffwechselaktivität von Osteoblasten ähnlich gut wie Titan Grad 4 unterstützen. Das heißt: Knochenbildende Zellen interagieren mit diesen Oberflächen – ein Beleg für ihre Zytokompatibilität und ein Schlüssel für die Osseointegration. Gleichzeitig weisen Zirkoniumdioxid und ATZ eine geringere Zytotoxizität im Vergleich zu TiGr4 auf – sie schaffen also ein sicheres und stabiles Umfeld für das periimplantäre Gewebe. Ein weiterer entscheidender Punkt ist das osteogene Potenzial: Laufende Studien zeigen eine signifikant erhöhte Expression osteogener Differenzierungsmarker – ALP, COL1A und OCN – auf Zirkoniumdioxid- und ATZ-Oberflächen im Vergleich zu Titan. Und schließlich – besonders relevant in der klinischen Praxis – haben Zirkoniumdioxid und ATZ eine ausgeprägte bakteriostatische Wirkung. In-vitro-Studien zeigen, dass eine bakterielle Aktivität und Lebensfähigkeit parodontaler Pathogene wie P. gingivalis und A. actinomycetemcomitans auf Zirkoniumdioxid- und ATZ-Oberflächen reduziert sind, während Titan eine deutlich stärkere bakterielle Besiedlung aufweist. Dabei handelt es sich um zwei der wichtigsten parodontalen Bakterienstämme, die mit Periimplantitis in Verbindung gebracht werden – einer Erkrankung, die letztlich zum Implantatverlust führen kann. Alles in allem bedeuten bessere Zellverträglichkeit höhere osteogene Aktivität und bakterielle Resistenz. Zirkoniumdioxid und ATZ sind also nicht nur Alternativen zu Titan – sie sind in vielerlei Hinsicht eine klinisch fortschrittlichere Lösung für die moderne dentale Implantologie.
Sie haben gesagt, die Hüftendoprothetik lehre uns, dass der Übergang zu Keramikimplantaten nur eine Frage der Zeit sei. Welche Bedeutung hat das für die Zukunft der Keramik in der dentalen Implantologie?
Dr. Alessandro Alan Porporati: Diese Aussage spiegelt das Muster wider, das wir in beiden Bereichen beobachten konnten. In der Hüftendoprothetik waren Aluminiumdioxidkeramiken die ersten, die sich durchgesetzt haben. Im Laufe der Zeit haben sich Aluminiumdioxid-basierte Verbundwerkstoffe wie ZTA aufgrund ihrer überlegenen Leistungsfähigkeit etabliert und sind zum Standard geworden. Das geschah nicht über Nacht – es erforderte Jahrzehnte der Entwicklung, Datenerfassung und klinischen Verfeinerung. Wenn wir uns nun die dentale Implantologie ansehen, ist es fast ein Spiegelbild, nur zeitlich versetzt. Zirkoniumdioxid und ATZ sind heute dort, wo ZTA vor etwa 15 bis 20 Jahren in der Orthopädie war – klinisch erprobt, sicher und bereit für eine breitere Anwendung. Es ist die Materialentwicklung, die sich in einem anderen Bereich wiederholt. Keramiken sind dann erfolgreich, wenn Technologie und klinisches Verständnis aufholen. Entscheidend ist aber: In der Orthopädie haben Registerdaten erheblich zur besseren medizinischen Entscheidungsfindung beigetragen und die überlegene Langzeitleistung keramischer Gleitpaarungen im Vergleich zu Metall belegt. Nun ist auch in der dentalen Implantologie der Zeitpunkt gekommen.
Das ist wirklich spannend. Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Dr. Porporati.
Ich bedanke mich auch bei Ihnen.
Neuste Beiträge
24. April 2025
Reduzierter Gewindeschnitt steigert Primärstabilität von Zeramex XT im D4-Knochen