Keramikimplantate – Interview mit Prof. Dr. Gahlert und PD Dr. Röhling

 Prof. Dr. Gahlert & PD Dr. Röhling

 

«Bei uns liegt der alltägliche Keramikimplantatanteil bei 50 Prozent»

 

Gemeinsam leiten sie in München eine oralchirurgische Praxis und sind ausgewiesene Experten auf dem Gebiet der zweiteiligen Keramikimplantate. In einem Interview berichten die Chirurgen Prof. Dr. Michael Gahlert und Priv.-Doz. Dr. Stefan Röhling von den Vorteilen von Keramikimplantaten sowie der Einstellung von Patienten dazu. Auch klären sie die Frage, ob das Keramikimplantat, dem Titanimplantat vorrangig, Zukunft hat.

Herr Dr. Röhling, Sie haben zusammen mit Prof. Dr. Gahlert und weiteren Kollegen den André-Schröder-Preis 2020 für Ihre Studie Ligature-Induced Peri-implant Bone Loss Around Loaded Zirconia and Titanium Implants erhalten. Was haben Sie da genau beobachtet?

Dr. Stefan Röhling: In dieser Studie haben wir zum allerersten Mal die Entstehung einer experimentellen Periimplantitis an Keramikimplantaten im direkten Vergleich zu Titanimplantaten untersucht. In dem Gemeinschaftsprojekt zusammen mit Prof. David Cochran aus San Antonio (USA) konnten wir zeigen, dass es bei Keramikimplantaten – während einer aktiven und spontanen Progression der Entzündung – zu signifikant weniger Knochenabbau als bei Titanimplantaten gekommen ist.

Es gibt klinische Evidenz zu einer besseren Biokompatibilität von Keramikimplantaten. Hat das Auswirkungen für eine geringere Neigung zur Ausbildung einer Periimplantitis?

Dr. Röhling: Die Entstehung einer Periimplantitis ist multifaktoriell. Allerdings kann die Anlagerung von Bakterien an die Implantatoberfläche in Form eines Biofilms eindeutig als einer der Hauptgründe für die Entstehung von periimplantären Entzündungen betrachtet werden. Diese Biofilmanlagerung ist nicht nur von den physikalischen (Oberflächenrauheit) und chemischen (Oberflächenenergie bzw. Oberflächenspannung) Oberflächeneigenschaften, sondern auch von der Art des verwendeten Biomaterials (Titan gegenüber Keramik) abhängig. In wissenschaftlichen Studien konnte gezeigt werden, dass – bei ähnlicher Oberflächentopografie – es bei Keramik zu weniger Biofilmanlagerung kommt als bei Titan. Die Ergebnisse unseres experimentellen Versuches sind noch konkreter. Daher kann entsprechend der momentan verfügbaren Daten durchaus davon ausgegangen werden, dass die Biokompatibilität Einfluss auf die Ausbildung einer Periimplantitis hat. Ob Keramikimplantate langfristig betrachtet wirklich eine geringere Neigung für die Ausbildung von periimplantären Infektionen haben, lässt sich aufgrund der momentanen Datenlage jedoch nur schwer beantworten. Die bisherigen wissenschaftlichen Daten sind jedoch sehr vielversprechend.

Herr Prof. Dr. Gahlert, Sie arbeiten gerade an einer retrospektiven Nachuntersuchung von zweiteiligen Keramikimplantaten (Zeramex). Können Sie schon erste Resultate mit uns teilen?

Prof. Dr. Michael Gahlert: Im Rahmen einer Promotion haben wir mit unserer Doktorandin und der Universität Basel eine retrospektive Nachuntersuchung von 21 Patienten durchgeführt. Dabei wurden 36 zweiteilige Keramikimplantate vom Typ Zeramex XT nachuntersucht. Schwerpunkt der Untersuchung waren neben der Erhebung von klinischen Parametern die Abutment-Implantat-Verbindung durch eine Carbonschraube, die in keinem der nachuntersuchten Fälle durch Beanstandungen aufgefallen ist. Die durchschnittliche Belastungsphase der Keramikimplantate betrug zweieinhalb Jahre und die Überlebens- und Erfolgsquoten sind die gleichen wie bei vergleichbaren und etablierten Titanimplantaten.

Wie hoch ist der Anteil an Keramikimplantaten in Ihrer Praxis?

Prof. Dr. Gahlert: Schauen wir rückblickend auf die letzten zehn Jahre, so ist der Anteil verwendeter Keramikimplantate neben der Anwendung von Titanimplantaten bei uns konstant gestiegen. Stand heute würde ich speziell in unserer Praxis den Anteil alltäglicher Keramikimplantate auf 50 Prozent beziffern.

Einteilige Titanimplantate gibt es beinahe nicht. Was für eine Rolle spielen einteilige Keramikimplantate in der klinischen Anwendung?

Dr. Röhling: Einteilige Keramikimplantate sind sicher ein Nischenprodukt, das nur von wenigen Praktikern routinemäßig verwendet wird. Viele Kliniker sind skeptisch bezüglich des chirurgischen und prothetischen Handlings sowie der Tatsache, dass die Suprakonstruktionen nur zementiert werden können. Die zweiteiligen Keramikimplantatdesigns entsprechen eher dem, was die Mehrheit der Kollegen verwenden möchte, da das klinische Handling mit dem von Titanimplantaten verglichen werden kann. In unserer Praxis sind einteilige Keramikimplantate dennoch ein wichtiger Faktor im klinischen Alltag, weil damit vor allem im ästhetisch relevanten Frontzahnbereich fantastische Ergebnisse bezüglich der weißen und roten Ästhetik erzielt werden können.

In welchen Fällen würden Sie eher zweiteilige verschraubte Keramikimplantate verwenden?

Prof. Dr. Gahlert: Bei größeren prothetischen Versorgungen bietet die Zweiteiligkeit größere prothetische Flexibilität, außerdem fühlen wir uns als behandelnde Implantologen wohler, wenn die Implantate subgingival oder epigingival einheilen, da die Gefahr der Früh- oder Fehlbelastung durch herausstehende Implantatstümpfe gemindert ist. Dieses Problem ist ja nach wie vor bei der Einteiligkeit gegeben, besonders dann, wenn Patienten in der Einheilphase herausnehmbaren provisorischen Zahnersatz tragen.

Der aktuelle Trend bei den Titanimplantaten geht in Richtung Bone-Level-Design. Trifft das auch auf Keramikimplantate zu?

Dr. Röhling: Wenn man den internationalen Markt der Titanimplantate betrachtet, dann werden mehr Bone-Level-Designs als Tissue-Level-Designs verwendet. Diese Entwicklung ist sicher auf eine erhöhte prothetische Flexibilität zurückzuführen. Um Keramikimplantate auf dem Markt weiter zu etablieren und sie für noch mehr Kliniker interessant zu machen, ist es unbedingt erforderlich, dass auch bei Keramikimplantaten reversibel verschraubte, zweiteilige Bone-Level-Designs verfügbar werden, welche die Anfertigung von individuellen Abutments erlauben. Bei der Diskussion Bone-Level gegenüber Tissue-Level sollte jedoch nicht nur der Faktor der prothetischen Flexibilität, sondern auch das zugrunde liegende biologische Prinzip beachtet werden. Dabei wird deutlich, dass auch heutzutage ein Tissue-Level-Design durchaus noch seine Berechtigung im klinischen Alltag hat.

Spiegelt sich das Interesse an Keramikimplantaten bei Ihren Patienten wider?

Prof. Dr. Gahlert: Wir sind immer wieder erstaunt, mit welcher Informationsvielfalt neue Patienten, die sich bei uns wegen möglicher implantologischer Versorgungen melden, in unsere Praxis kommen. Das Internet bietet ja sehr viele Informationsmöglichkeiten bezüglich dieses Themas. Viele kommen auch, weil sich jetzt mit keramischen Implantaten neue Möglichkeiten für sie ergeben, die aus Sicht der Patienten mit Titan nicht erzielbar waren.

Einige Ihrer Kollegen verzichten nach wie vor auf die Anwendung von Keramikimplantaten. Was hält sie in Ihren Augen davon ab?

Dr. Röhling: Viele Anwender haben leider immer noch kein Vertrauen in die verfügbaren Produkte. Zurückzuführen ist das auf Unwissen bzw. Kommunikationsdefizite, was die Materialeigenschaften und die Verlässlichkeit betrifft, aber auch auf Vorurteile gegenüber Keramikimplantaten. Entscheidend sind dabei nicht selten negative Erfahrungsberichte aus der Vergangenheit mit Keramikimplantaten aus Aluminiumoxid. Es muss jedoch beachtet werden, dass moderne Keramikimplantate aus Zirkonoxid hergestellt werden und deutlich bessere biomechanische Eigenschaften besitzen als Keramikimplantate aus Aluminiumoxid, die bereits seit Mitte der 1990er-Jahre nicht mehr auf dem Markt verfügbar sind. Daher sind diese Vorurteile nicht mehr zeitgemäß: Es gibt mittlerweile ausreichend wissenschaftliche Daten, die eine verlässliche klinische Anwendung von Keramikimplantaten aus Zirkonoxid untermauern.

Was würden Sie den in freier Praxis tätigen Kollegen mit Blick auf Vorteile von Keramikimplantaten raten?

Dr. Röhling: Keramikimplantate erweitern das Spektrum einer Praxis und bieten den Patienten eine verlässliche Alternative zu Titan. Diese Tatsache ist umso wichtiger, da die Nachfrage nach Keramikimplantaten vonseiten der Patienten weiter ansteigen wird. In einer von unserer Forschungsgruppe durchgeführten Studie konnte gezeigt werden, dass zahnfarbene Keramikimplantate attraktiver für Patienten sind als graue Implantate aus Titan. Darüber hinaus haben Keramikimplantate Vorteile in anspruchsvollen ästhetischen Indikationen und bei kompromittierten Weichgewebsverhältnissen. In zahlreichen klinischen Fällen konnten wir im letzten Jahrzehnt eine schnelle, reizlose und stabile Adaptation der periimplantären Mukosa beobachten.

Gibt es spezielle Fälle, in welchen Sie Keramikimplantate bevorzugen, zum Beispiel beim ästhetischen Frontzahnfall?

Prof. Dr. Gahlert: Neben den hochästhetischen Versorgungsmöglichkeiten im oberen Frontzahnbereich liegen mir als Parodontologe besonders die Patienten mit ehemaligen und genetisch bedingten Zahnbetterkrankungen am Herzen. Da Keramikimplantate weniger Bakterienaffinität besitzen als Titanimplantate, sind Keramikimplantate in diesen speziellen Fällen beim Zahnersatz erste Wahl für mich.

Wie sehen Sie die Zukunft von Keramikimplantaten im Vergleich zu Titanimplantaten?

Prof. Dr. Gahlert: Einer der bedeutsamsten Aspekte wird sein, dass Keramikimplantate mehr Anerkennung finden werden, als es jetzt noch der Fall sein mag. Obwohl weltweit eine Bewegung pro Keramikimplantate in Gang gesetzt worden ist, die sich beständig weiterentwickelt, ist die Datenlage immer noch zu lückenhaft. Meine konkrete Prognose ist, dass in fünf Jahren nach wissenschaftlicher Bestätigung von zehn Jahren seriöser Langzeitdaten unterschiedlicher Studiengruppen und der weiterhin positiven klinischen Bewährung Keramikimplantate neben Titan nicht mehr wegzudenken sind.

Das Interview ist im Implantologie Journal 4/2022 erschienen.

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